Anlässlich des angekündigten Vortrages beim 9. Confare CIO SUMMIT haben wir mit Dr. Benjamin Kettner, CTO der ML!PA Consulting GmbH und Wirtschaftsinformatik Prof. Dr. Thomas Pietsch aus Berlin ein e-Interview zum Stand von Industrie 4.0 und die Auswirkungen auf Unternehmen. Die geschilderten Erfahrungen und Erkenntnisse basieren auf zwei gemeinsam durchgeführten Projekten. Im ersten Projekt wurden Experten aus ausgewählten Unternehmen (Einzelfertiger, Massenfertiger, Energie, Logistik) zu ihrer Haltung und ihrer Einschätzung zum Thema „Digitalisierung“ befragt und ausgewertet. Im zweiten Projekt, das noch läuft, wird das RAMI 4.0 (Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0) in handhabbare Subsets zerlegt und auf die Belange von Unternehmen mit speziellen fachlichen Einsatzbereichen angepasst.
Wie weit ist die Digitalisierung
in unterschiedlichen Branchen?
Digitalisierung im Energiesektor:
Im Energiesektor sind die Anlagen, also Photovoltaik,
Windkraft, konventionelle Kraftwerke oder Biogasanlagen, meistens mit
umfangreicher Sensorik ausgestattet. Diese Sensoren sind nötig, um den Betrieb
zu überwachen. Allerdings „kocht hier jeder Hersteller und Betreiber sein
eigenes Süppchen“. Es findet beispielsweise in einem Windpark, in dem Anlagen
nahezu aller größeren Hersteller anzutreffen sind, keine anlagenübergreifende
Kommunikation der gesammelten Daten statt.
Wenn Sie wissen, dass die Wartungskosten alleine im Betrieb
einer Offshore-Windenergieanlage im Millionenbereich liegt und bei
herkömmlichen Onshore-Anlagen bis zu 30% der Errichtungskosten betragen, dann
können Sie sich vorstellen, wie groß das Potenzial in der Energiebranche ist,
das durch eine Digitalisierung ausgeschöpft werden kann.
Die an unserem Projekt beteiligten Experten der
Energiebranche waren sich einig, dass die Umsetzung der ‚vierten industriellen
Revolution’ in ihrer Branche noch in den Kinderschuhen steckt und dass das
Thema Mensch hier höchstens am Rande stattfindet. Dabei wäre eine
360-Grad-Sicht, die den Menschen bei Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten in
den Mittelpunkt stellt und eine zentrale Plattform für den Wissenstransfer
darstellt gerade hier ein großer Gewinn.
Digitalisierung in der Massenproduktion:
Digitalisierung im Sinne von Erfassung und Auswertung von
Produktionsdaten ist für Massenfertiger eigentlich nichts Neues. Bereits vor
Jahren kursierten hier ja bereits die Begriffe CAM (Computer Aided
Manufacturing) und CIM (Computer Integrated Manufacturing). Allerdings sind in
der industriellen Massenproduktion die Situationen der Player auch sehr breit
gefächert. Einerseits sind hier die Margen oftmals so gering, so dass sich ein
Nachrüsten von Produktionsstrecken nicht rechnet, in anderen Fällen gibt es
durch das Überwachen und Feinsteuern der Fertigungsprozesse ein erhebliches
Potenzial für die Qualitätssteigerung oder
sicherung.
Trotz langjähriger Erfahrungen sieht sich die Branche noch
lange nicht auf der Zielgeraden bei der Umsetzung der digitalisierten
Produktion. Ein Interviewpartner aus einem Branchenverband schätzte sogar, dass
es noch bis zu 30 Jahre dauern könnte, bis die Vision der vernetzten Produktion
hier vollständig umgesetzt und das Potenzial, der menschlichen Tätigkeit einen
Qualitätsschub zu verleihen, ausgeschöpft sei. Die Unterstützung der am
Produktionsprozess beteiligten Menschen stellt hier das vorrangige Ziel dar.
Digitalisierung in der Einzelfertigung:
Auch im Bereich der Einzelfertigung wird der Begriff
‚Industrie 4.0’ eher als eine Fortsetzung begonnener Wege unter einem neuen
Schlagwort gesehen. Da es hier allerdings um die Optimierung einer Produktion
mit der Losgröße 1 geht, stellt die erhöhte Transparenz der Produktion bei den
für einzelne Kunden konfigurierten Einzelstücken allerdings einen zusätzlichen
Mehrwert dar, der in der Massenfertigung nicht von Bedeutung ist.
Ebenfalls für einen Mehrwert sorgt ein Monitoring, das in
Echtzeit Informationen zum Produktionsprozess liefert und die Möglichkeit
bietet, die Frequenz der Produktionsplanung erheblich zu erhöhen und dadurch
nicht mehr „zeitaufwändig an der Realität vorbei“ zu planen. Das Potenzial der
Digitalisierung steckt für Einzelfertiger also in der Transparenz und in der
Geschwindigkeit, mit der die Planung auf veränderte Marktanforderungen
reagieren kann. Beim Customizing der Produkte stehen die beteiligten Menschen
mit ihrer Fachkompetenz und vor allem mit einer vertrauensvollen Kommunikation
mit dem Kunden in einer besonderen Verantwortung. Hier wird auch ein Mehrwert
in Technologien wie Augmented Reality und Assistenzsystemen gesehen, die den
Menschen bei seiner Arbeit unterstützen.
Digitalisierung in der Logistik:Durch sehr hohen Zeit- und Kostendruck steht die Logistikbranche schon seit langem unter dem Druck, ihre Prozesse optimieren zu müssen. Eine Digitalisierung sowie die digitale Unterstützung des Planungsprozesses sind deshalb hier schon sehr weit entwickelt. Vor allem aus seiner Rolle als Schnittstelle zwischen geschäftlich handelnden Akteuren, die ihrerseits mit einer erhöhten Transparenz und Vernetzung in ihren jeweiligen Branchen die Rahmenbedingungen verändern, erwachsen für die Logistik ständig neue, komplexe Herausforderungen. Ein wesentliches Ziel ist es dabei, den Aufwand für die Logistik so gering wie möglich zu halten und neben der höheren Transparenz durch eine verbesserte Planung die Auslastung zu verbessern. Das führt dazu, dass die Logistik stärker als andere untersuchte Branchen offen ist für neue Technologien wie z. B. Assistenzsysteme für Fahrer und Lageristen sowie die IT-unterstützte Auswertung von Daten für die Prozessoptimierung.
Eine Lösung für die Erfassung und Verteilung von Daten durch räumlich verteilte Systeme in den Flotten existiert bislang zwar nur teilweise, aber die in der Logistik arbeitenden Menschen denken prozessorientiert und sind es gewöhnt, IT-Systeme zur Optimierung zu nutzen.
Was sind die 5
wichtigsten Voraussetzungen für erfolgreiche Industrie 4.0 Projekte?
1. Wer
Industrie 4.0 will, der muss zuerst seine schriftlichen Hausaufgaben machen,
also alles transparent dokumentieren und verfügbar machen, um seine Prozesse im
Griff zu haben, also genau zu wissen, wann wo was geschieht. Nur dadurch ist es
den Mitarbeitern möglich, den Überblick über die automatisierten Prozesse zu
behalten.
2. Wer
Industrie 4.0 will, der muss den Menschen mitnehmen, also sowohl Qualifizierung
also auch Mitarbeiterführung auf die veränderte Situation anpassen, also
Management 3.0 beherrschen.
3. Wer
Industrie 4.0 will, der muss mit allem rechnen, also ein hohes Maß an
Aufmerksamkeit für die Aktivitäten und ihre Wirkungen haben und damit sind die
Belange einer veränderten Kommunikation genauso gemeint, wie Haftungsfragen bei
einer automatisierten Produktion. Eine automatisch gesteuerte Produktionskette
kann dem Menschen nicht nur die Arbeit erleichtern, sie kann auch zur Gefahr
für den Mitarbeiter werden.
4. Wer
Industrie 4.0 will, der muss die Karten neu mischen, also bereit sein, die
Positionen aller Protagonisten zu verschieben, ihnen neue Rollen und neue
Positionen zu geben und sie in neue Relationen einzufügen.
5. Wer
Industrie 4.0 sagt, der muss den Gesamtkontext sehen, also dass es sich hierbei
nicht um eine technische, sondern um eine sozio-technische Entwicklung handelt,
die allerdings keine Revolution ist, sondern eine Evolution und bei der trotz
aller technischen Automatisierungen der Mensch weiterhin die Verantwortung für
alles das trägt, was im Unternehmen geschieht.
Erfahrungsaustausch
und Weiterbildung sind wichtige Faktoren um den Wandel zu bewältigen. Das 9.
Confare CIO SUMMIT mit dem Motto: „Im Mittelpunkt: Der Mensch“ bietet dazu „den
österreichischen IT Treffpunkt von internationalem Format“. Hier wird der CIO
AWARD verliehen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik
der Universität St. Gallen und EY im Rahmen des 9. CIO & IT-Manager Summits
am 6. und 7. April 2016 verliehen. Anmeldung und Details auf www.ciosummit.at
www.ciosummit.at
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